2.3 Nachhall berechnen und messen
Nachhallzeiten berechnen
Die einfache Berechnung der Nachhallzeit eines Raums geht auf Wallace Clement
Sabine (1868-1919) zurück, der an der Havard University Physik lehrte. Beim Bau
der Boston Symphony Hall (1899/1900) unterstützte er die Architekten mit akustischer
Beratung, Berechnungen und Messungen. Es wurde ein großer Erfolg - die
Boston Symphony Hall gilt bis heute als ein Konzertsaal allererster Klasse
(Ausführliches zu diversen Konzertsälen ist in
[Beranek, 2004] zu finden).

An der Boston Symphony Hall fand erstmals beim Bau eines Konzertsaals
eine quantitative akustische Beratung statt. (Bildquelle: wikipedia.org)
W. C. Sabine erkannte, daß die Nachhallzeit eines Raums in erster Linie
vom Innenvolumen und von der Schallabsorption der Oberflächen im Raum
abhängt. Auf diesen Größen beruht auch die von ihm entwickelte
und nach ihm benannte Näherungsformel für die Nachhallzeit:
T = 0.163 V / A
= 0.163 V / ∑ Si αi
wobei:
T = Nachhallzeit der Raums in [s]
V = Nettovolumen der Raums in [m³]
A = ∑ Si αi
die gesamte äquivalente Schallabsorptionsfläche
im Raum in [m²]
Si sind die einzelnen Oberflächen
im Raum in [m²]
αi sind die Schallabsorptionsgrade
der einzelnen Oberflächen, ohne Einheit [-]
Für Räume mit einfacher Geometrie (z.B. Quader), die nicht sehr
stark bedämpft sind und wo die Absorber etwa gleichmäßig im
Raum verteilt sind, liefert die Sabine'sche Formel Ergebnisse, die für
die raumakustische Planung meist hinreichend genau sind, und wird deshalb
häufig verwendet.
Bei sehr großen Räumen muß zusätzlich die Absorption der Luft
berücksichtigt werden. Für stark bedämpfte Räume liefert die
etwas komplexere Formel von Eyring genauere Ergebnisse als die Sabine'sche Formel.
Räume mit besonders hohen Anforderungen an die raumakustische Qualität
werden auch mittels raumakustischer Simulation vorherberechnet.
Aus den Simulations-Ergebnissen können neben Nachhallzeiten auch diverse
weitere Maße für die raumakustische Qualität abgeleitet werden.
Zudem können Hörproben hergestellt werden, die es auch mit den
Qualitätsmaßen nicht vertrauten Personen erlauben, die Qualität
einzuschätzen. In Kap. 2.3 werden solche Hörproben verwendet.
Da die Schallabsorption in der Regel nicht für alle Frequenzen gleich ist,
werden Nachhallzeiten für verschieden Frequenzbereiche berechnet, am
häufigsten für die sechs Oktavbänder
von 125 Hz bis 4 kHz, die den Frequenzbereich der menschlichen Sprache
weitgehend abdecken. Für Musik spielen auch die Oktaven darunter und darüber
eine Rolle.
Die für die Berechnungen benötigten Schallabsorptionsgrade können der
Literatur, der umfangreichen Datenbank der PTB
oder Datenblättern der Hersteller von Schallabsorbern entnommen werden.
Nachhallzeiten messen
Die einfachste Methode Nachhallzeiten zu messen besteht darin, einen lauten
Impuls zu erzeugen, beispielsweise mit einer Schreckschußpistole oder einem
zerplatzenden Ballon, in kleinen Räumen notfalls sogar mit kräftigem
Händeklatschen. Aus dem Abklingen des Knalls kann dann die Nachhallzeit
abgeleitet werden. Allerdings sind die Impulse nicht genau reproduzierbar
und in ihren akustischen Eigenschaften nur ungenau erfaßbar. Deshalb ist
diese Methode in erster Linie für eine ungefähre und schnelle Einschätzung
eines Raums geeignet, weniger jedoch um reproduzierbare und verläßliche
Meßergebnisse zu erhalten.
Eine herkömmliche, mittlerweile 'in die Jahre gekommene' Methode nutzt ein
Rauschsignal, das für einige Sekunden über einen Lautsprecher in den Raum
abgestrahlt und dann, nachdem sich ein konstanter mittlerer Pegel eingestellt
hat, abgeschaltet wird. Aus dem Abklingen wird die Nachhallzeit bestimmt.
Der Vorzug lag vor der allgemeinen Verbreitung der PCs darin, daß die Messung
ohne Computer mit einem elektromechanischen Pegelschreiber oder einem nachleuchtenden
Oszilloskop durchgeführt werden konnte.
Die Computer-gestützte Meßtechnik ermöglicht komplexe Meßsignale
zu nutzen, mit denen eine höhere Genauigkeit und weniger Störempfindlichkeit
realisierbar ist. Gängige Meßsignale sind 'Maximalfolgen', wie Rauschen
klingende Signale die jedoch eine genau festgelegte Zeitstruktur haben,
sowie durch das gesamte Spektrum gleitende Sinustöne ('sinus sweeps').
Beiden Signaltypen ist gemeinsam, daß sie, mit einem zugehörigen
komplementären Auswertesignal mathematisch 'gefaltet', einen idealen
Impuls ('Dirac-Impuls') ergeben. Überträgt man stattdessen zunächst das
Meßsignal über einen Lautsprecher und ein Mikrofon im zu vermessenden Raum,
und führt die 'Faltung' dann am übertragenen Signal aus, entspricht das
Ergebnis dem Abklingen des idealen Impulses, nur viel präziser als das
mit einer direkten Impuls-Messung möglich wäre.
Des Ergebnis der Übertragung eines Impulses, gleichgültig ob 'primitiv'
wie oben beschrieben oder indirekt mit Meßsignalen gemessen, wird
'Raumimpulsantwort' genannt. Daraus lassen sich neben den Nachhallzeiten
diverse andere Qualitätsmaße ableiten. Verschiedene Meßmethoden und
deren Auswertung sind in ISO 3382 beschrieben.

Gemessene Raumimpulsantwort eines Hörsaals.